“Wenn künstliche Intelligenz die Welt so tiefgreifend verändert wie die Elektrizität, könnte sie den Druck durch den demografischen Wandel ausgleichen.”
Chief Economist und Head of Investment Strategy Group, Vanguard
Im März hat die US-Notenbank (Fed) ihre längerfristigen Wachstumsprognosen veröffentlicht1, die Aufschluss über die Zukunft der US-Wirtschaft geben. In ihrer Konsensprognose geht die Fed davon aus, dass sich die Zukunft der größten Volkswirtschaft der Welt nicht wesentlich von ihrer jüngsten Vergangenheit unterscheiden wird. Diese Prognose könnte sich jedoch als falsch herausstellen.
Das Federal Reserve Board kommt zu ähnlichen Ergebnissen wir das US Congressional Budget Office (CBO) und prognostiziert unter anderem:
Der Konsensprognose nach werden sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Zukunft demnach kaum von denen der letzten Jahre unterscheiden: schwaches Produktivitätswachstum, niedrige Inflation und Realrenditen auf Staatsanleihen knapp über null.
Wir kommen in unserer Analyse zu einem anderen Ergebnis und weisen dem Fed-Szenario eine Wahrscheinlichkeit von lediglich 10 bis 20% zu. Dagegen gehen wir mit einer Wahrscheinlichkeit von 45 bis 55% davon aus, dass künstliche Intelligenz einen Produktivitätsschub auslösen wird.
Die Wahrscheinlichkeit, dass KI unsere Erwartungen nicht erfüllen wird, beziffern wir auf 30 bis 40%. In diesem Szenario gehen wir von einer langsam wachsenden, alternden Bevölkerung aus, die Staatsdefizite und Schulden anheizt und wenig Raum für Wachstum und steigende Lebensstandards lässt.
Unsere Erwartungen sind das Ergebnis eines neuen Vanguard Modells für Wirtschaftsprognosen, das neben kurzfristigen Konjunkturvariablen, die den meisten Wirtschaftsprognosen zugrunde liegen, auch längerfristige angebotsseitige Faktoren berücksichtigt, die die Produktionskapazität einer Wirtschaft über Jahrzehnte hinweg bestimmen. Zu diesen Megatrends gehören Demografie, technologischer Wandel, Defizite und Globalisierung.
Unsere Analyse legt den Schluss nahe, dass die Zukunft der Weltwirtschaft von einem Tauziehen zwischen KI und demografisch bedingten Defiziten geprägt sein wird. Wie sich Wirtschaft und Finanzmärkte entwickeln werden, hängt davon ab, welche dieser beiden Kräfte sich letztlich durchsetzen wird.
In 141 der 208 Jahre zwischen 1792 und 1999, also in knapp sieben von zehn Jahren, hat die US-Regierung einen Primärüberschuss erzielt. (Von einem Primärüberschuss spricht man, wenn die Steuereinnahmen die Ausgaben ohne Zinszahlungen für Schulden übersteigen.) Seit der Jahrtausendwende hat sich der Trend jedoch umgekehrt: In 20 der 24 Jahre von 2000 bis 2023 (83%) wiesen die USA ein Primärdefizit aus.2
Verantwortlich für die Trendwende ist der demografische Wandel, der zu höheren Ausgaben für Gesundheitswesen und soziale Absicherung geführt hat. Zu diesen strukturellen Defiziten kamen nach dem Ende der Pandemie steigende Zinsen, die das Wachstum belasten und Anlass zur Sorge um Inflation und Kreditkosten geben. Nach Schätzungen des CBO wird die US-Schuldenquote, also das Verhältnis von Staatsschulden zur Wirtschaftsleistung, bis 2054 von aktuell rund 100% auf über 170% ansteigen.
Neue Technologien, insbesondere künstliche Intelligenz, könnten jedoch einen Wachstumsschub auslösen und die Folgen des demografischen Wandels abfedern.
In der Vergangenheit war technologische Innovation der wichtigste Impulsgeber für steigende Produktivität und höhere Lebensstandards. In unserer Studie unterscheiden wir dabei zwischen drei Dimensionen technologischer Innovation:
Die Voraussetzungen für das Entstehen von Allzwecktechnologien sind heute in Anbetracht steigender Investitionen in neue Technologien und schwacher Produktivitätswachstumsraten gegeben. Wenn künstliche Intelligenz die Welt so tiefgreifend verändert wie die Entdeckung der Elekrizität, könnte sie den Druck durch den demografischen Wandel ausgleichen. Die Konsensprognosen für Wirtschaft und Märkte wären dann womöglich zu konservativ.
Wenn das Produktivitätswachstum dagegen eher dem von Robotik, Computern oder dem Internet entspricht, wird die Demografie zum dominanten Faktor werden und die Konsensprognosen wären zu optimistisch.
In unserer Studie stellen wir zwei Zukunftsszenarien vor: Im ersten, wahrscheinlichsten Szenario entwickelt sich KI zu einer bedeutenden Allzwecktechnologie, die die Produktivitätswirkung des PCs ebenso übertrifft wie die des Internets. Im anderen Szenario kann künstliche Intelligenz die Erwartungen nicht erfüllen, weshalb das bescheidene Produktivitätswachstum nicht ausreicht, um die durch demografisch bedingte Staatsausgaben entstehenden strukturellen Defizite auszugleichen.
Quelle: Vanguard. Anmerkungen: Wir definieren Transformation als Schock durch die Verbreitung einer Allzwecktechnologie, Effizienz als Schock durch Automatisierung und Augmentation als Schock, durch den sowohl Produktion als auch Beschäftigung steigen.
Technologie und Demografie haben schon immer miteinander rivalisiert, wie Thomas Malthus in An Essay on the Principle of Population (1798) erläutert. Malthus argumentiert, dass Bevölkerungswachstum Kriege, Hungersnöte und Krankheiten nach sich ziehen würde. Im Jahr 1798 lebten insgesamt 800 Millionen Menschen auf der Erde. Aber im Jahr 2022 waren es dagegen acht Milliarden Menschen, die insgesamt reicher und gesünder waren. Der technologische Fortschritt hat die Warnung von Malthus neutralisiert, wonach „die Macht der Bevölkerung unendlich größer ist als die Fähigkeit der Erde, die Menschheit zu ernähren.“
Doch das Tauziehen geht weiter, heute zwischen einer langsamer wachsenden und alternden Bevölkerung und unserer Fähigkeit zum Erhalt oder zur Verbesserung unseres Lebensstandards. Wie jedoch die Agrarökonomin Ester Boserup feststellte, ist „die Not die Mutter der Erfindung.“ Wir erwarten, dass sich die Technologie durchsetzen wird – wir werden schneller neue Technologien entwickeln als altern.
Den vollständigen Bericht, Megatrends and U.S. Economy, 1890–2040, finden Sie hier.
1 Die Fed gibt keinen Zeitrahmen für ihre „längerfristigen Prognosen“ an, sondern weist lediglich darauf hin, dass diese die Einschätzung der Mitglieder des Offenmarktausschusses darstellen, „auf welchen Wert sich die einzelnen Variablen langfristig, bei einer angemessenen Geldpolitik und ohne weitere wirtschaftliche Schocks voraussichtlich zubewegen werden."
2 Quellen: Berechnungen von Vanguard auf der Grundlage von Daten zu Staatsausgaben der Global Financial Database (1792–1961) und des Congressional Budget Office (1962–2023).
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