VO: Auf der ganzen Welt haben die hohen Leitzinsen der Zentralbanken das Wachstum gebremst und die Inflation eingedämmt, zurück auf ein akzeptables Niveau. Eine bemerkenswerte Ausnahme sind die USA, wo robustes Wachstum und Vollbeschäftigung herrschten. Hier ist möglicherweise etwas anderes als eine durch die Geldpolitik ermöglichte sanfte Landung im Spiel.
Joe Davis: Tatsächlich hat sich das Wachstum gehalten, während die Inflation gesunken ist, weil es viele positive Entwicklungen auf der Angebotsseite gab. Das hat auch Auswirkungen auf das nächste Jahr, denn wenn diese Dynamik anhält, sehen wir möglicherweise nicht die Zinssenkungen, die manche noch vor einigen Monaten erwartet hatten.
VO: Die US-Wirtschaft könnte im Jahr 2025
einige der Merkmale des Jahres 2024 aufweisen, doch jedes neue Jahr bringt neue Herausforderungen mit sich.
Joe Davis: Warum wir die so genannte sanfte Landung hatten, der einzige Weg, Wachstum zu erhalten und die Inflation zu senken, sind positive Entwicklungen auf der Angebotsseite. Das können neue Arbeitskräfte sein oder steigende Produktivität, wenn wir also effizienter werden in dem, was wir tun. All diese Faktoren waren im Spiel, und wir konnten sie im Jahr 2024 quantifizieren. Das Risiko besteht darin, dass sich einige rückwärts bewegen oder einfach auslaufen könnten.
VO: Die Aussicht auf neue Zölle schafft ein Risiko an den Märkten, doch wie immer kommt es auf die Details an.
Joe Davis: Der durchschnittliche effektive Zollsatz in den Vereinigten Staaten beträgt etwa 3%. Wenn die Zölle auf 20, 30 oder 40% steigen würden, entspräche dies einer Verzehnfachung. Dann würde sofort die Inflation anziehen für importierte Waren, und möglicherweise hätte dies irgendwann auch Auswirkungen auf das Wachstum.
VO: Sei es wegen der anhaltend robusten Konjunktur oder wegen der Aussicht auf einen Wiederanstieg der Inflation, wir gehen davon aus, dass die Zinsen hoch bleiben.
Joe Davis: Möglicherweise wird die Federal Reserve die Zinsen lockern, und auch andere Zentralbanken könnten die kurzfristigen Zinsen senken. Aber solange wir nicht von einer Rezession sprechen, was nicht unserem Basisszenario entspricht, werden wir Zinssätze für langfristige Schatzanweisungen von über 4% sehen, bis auf Weiteres.
VO: Für langfristige Anlegerinnen und Anleger bleibt das Zinsumfeld positiv.
Joe Davis: Die Zinssätze liegen über der Inflationsrate, bei fast allen Laufzeiten. Das ist es, was wir unter einer Ära positiver Realzinsen verstehen – eine positive reale bzw. inflationsbereinigte Rendite. Das sind letztlich sogar gute Nachrichten für Aktienanlegerinnen und -anleger, weil Aktienrenditen einen Aufschlag gegenüber diesen Anleiherenditen darstellen.
VO: Hohe Bewertungen von US-Aktien, insbesondere von Wachstumsaktien,
bringen die hohen Erwartungen an künstliche Intelligenz zum Ausdruck.
Anlegerinnen und Anleger sollten jedoch auf Balance und Diversifizierung achten.
Joe Davis: Ein wirtschaftlicher Wandel ist möglich und neue Technologien können die Wirtschaft verändern. Das heißt aber nicht, dass man nur dort investieren sollte. Die Geschichte zeigt die Ironie und den Unterschied zwischen Wirtschaft und Märkten. Beide sind nicht immer dasselbe.