• Der KI-Boom könnte die Überbewertung von US-Aktien und insbesondere von Wachstumswerten in diesem Jahr beschleunigt haben. 
  • Trotz der riesigen Geldsummen, die weiterhin in die Entwicklung künstlicher Intelligenz investiert werden, ist ein KI-gestützter Wirtschaftsboom im kommenden Jahr unwahrscheinlich.
  • Anlegerinnen und Anleger sollten ihre kurzfristigen Erwartungen an Wirtschaftswachstum und Unternehmensgewinne nicht zu hoch stecken. 

„Wir sind vor allem gespannt, ob künstliche Intelligenz Wachstum und Arbeitsproduktivität so weit ankurbeln kann, dass unsere Lebensstandards steigen und Negativeffekte durch Bevölkerungsalterung ausgeglichen werden. Auf den Punkt gebracht: Ich bin vorsichtig optimistisch.“

Joe Davis

Chief Economist und Head of Investment Strategy Group, Vanguard

Ich schätze das langfristige Potenzial künstlicher Intelligenz (KI) optimistisch ein und erwarte einen deutlichen Wachstums- und Produktivitätsschub. Weniger optimistisch bin ich, dass KI die hohen Aktienbewertungen rechtfertigen oder uns vor einem Konjunkturabschwung in diesem oder im nächsten Jahr bewahren kann. 

Wie so oft bei neuen Technologien wird es wahrscheinlich noch viele Jahre dauern, bis künstliche Intelligenz ihr volles Potenzial entfalten kann. Zwar erscheint das Potenzial enorm, doch das Risiko einer Enttäuschung bleibt. 

In diesem Artikel werde ich versuchen, die Zusammenhänge zu erklären zwischen den aktuellen Aktienkursen, einer absehbaren Abkühlung der US-Wirtschaft und dem langfristigen Versprechen der neuesten Technologie, die die Welt in ihren Bann gezogen hat.

Ein KI-Investitionsvolumen von 1 Billion US-Dollar erscheint möglich, aber nicht bis Ende 2025

In KI-Kreisen wird häufig behauptet, dass Technologiefirmen, Versorger und andere Unternehmen in den kommenden Jahren zusammen eine Billion US-Dollar oder mehr in die Weiterentwicklung der Technologie investieren werden.1 Die Summe selbst ist durchaus realistisch, aber nicht bis Ende des nächsten Jahres, zumal das US-Wirtschaftswachstum bis dahin sinken dürfte. Nach unserer Schätzung wären KI-Investitionen in Höhe von einer Billion US-Dollar notwendig, damit das Wachstum im kommenden Jahr über das Trendniveau von 2% steigt.

KI-Investitionen: Beispiellos, aber weit entfernt von 1 Billion USD

Ein Balkendiagramm zeigt, dass sich die Investitionen in künstliche Intelligenz in den USA im Jahr 2023 auf geschätzte 67 Milliarden US-Dollar belaufen, außerdem vier Prognosen für die Investitionsvolumen in den Jahren 2024 und 2025. Wenn die Ausgaben für künstliche Intelligenz um 13% pro Jahr steigen (wie die Ausgaben für Software zwischen 1990 und 2000), würden sie sich in diesem Jahr auf 76 und im nächsten Jahr auf 86 Milliarden US-Dollar belaufen. Wenn die Ausgaben für künstliche Intelligenz jährlich um 16% steigen (wie die Telekommunikationsausgaben zwischen 1997 und 2001), würden sie sich in diesem Jahr auf 78 und im nächsten Jahr auf 91 Milliarden US-Dollar belaufen. Wenn die Ausgaben für KI jährlich um 21% steigen (wie die Ausgaben für Cloud-Technologien zwischen 2010 und 2016), würden sie sich in diesem Jahr auf 81 und im nächsten Jahr auf 99 Milliarden US-Dollar belaufen. Wenn die Ausgaben für KI jährlich um 34% steigen (wie zwischen 2013 und 2023), würden sie sich in diesem Jahr auf 90 und im nächsten Jahr auf 121 Milliarden US-Dollar belaufen. Wenn die Ausgaben für KI um 92% pro Jahr steigen (wie der Umsatz der NVIDIA Corp. mit Rechenzentren zwischen 2020 und 2023), würden sie sich in diesem Jahr auf 129 und im nächsten Jahr auf 248 Milliarden US-Dollar belaufen.

Hinweis: Die historischen Zahlen spiegeln die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten wider. 

Quellen: Vanguard; Daten zu historischen Telekommunikations- und Cloud-Ausgaben von den FEDS Notes, Own-Account IT Equipment Investment der US Federal Reserve (Oktober 2017); Daten zu historischen KI-Ausgaben und Schätzung der tatsächlichen Ausgaben in den USA für das Jahr 2023 aus dem Artificial Intelligence Index Report der Stanford University (2024); Daten zu historischen Software-Ausgaben vom U.S. Bureau of Economic Analysis; Daten zum Umsatz der NVIDIA Corp. von Ycharts.com. 

Wie die obige Grafik zeigt, beliefen sich die Investitionen in künstliche Intelligenz in den USA im vergangenen Jahr auf geschätzte 67 Milliarden US-Dollar. Um die kurzfristige Entwicklung dieser Ausgaben zu prognostizieren, haben wir die KI-Investitionen des letzten Jahres mit verschiedenen jährlichen Wachstumsraten zwischen 13 und 34% hochgerechnet. Diese hypothetischen Wachstumsraten entsprechen der Wachstumsrate für KI-Investitionen der letzten zehn Jahre sowie den Investitionsraten dreier anderer großer Technologien in deren Blütezeit. Träfen die Prognosen zu, würden sich die KI-Ausgaben in diesem und im nächsten Jahr in einer Größenordnung von 76 bis 121 Milliarden US-Dollar bewegen. 

Doch selbst wenn sich die Ausgaben für die Entwicklung künstlicher Intelligenz in diesem und im nächsten Jahr plötzlich annähernd verdoppeln würden – was in etwa der Verdopplung der Umsätze entspräche, die die NVIDIA Corp. in den letzten Jahren mit Rechenzentren erwirtschaftet hat – würden sie sich in diesem Jahr 2024 „nur“ auf etwa 129 Milliarden US-Dollar und im Jahr 2025 auf 248 Milliarden US-Dollar belaufen. Das wäre eine enorme, vielleicht beispiellose Summe, um jedoch bis 2025 die Billionenmarke zu erreichen, müssten die Investitionen in künstliche Intelligenz um 286% steigen – was unwahrscheinlich ist. Das bedeutet, dass wir im Jahr 2025 wahrscheinlich keinen KI-gestützten Wirtschaftsboom erleben werden.

Der KI-Boom könnte die Aktienbegeisterung erklären

Wir weisen schon seit einiger Zeit darauf hin, dass US-Aktien und insbesondere Wachstumsaktien sehr teuer sind. Das zyklisch bereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis (CAPE) für US-Aktien liegt rund 32% über unserer Fair-Value-Schätzung2. Allerdings gibt es Unterschiede: Growth-Aktien und der Markt insgesamt scheinen überwertet, die Bewertungen von Small-Cap-, Value- und Nicht-US-Aktien entsprechen dagegen durchaus ihrem Fair Value.

Trotz Kursverlusten sind US-Aktien weiterhin teuer

Ein Liniendiagramm zeigt starke Schwankungen des zyklisch bereinigten Kurs-Gewinn-Verhältnisses (CAPE) des Standard & Poor's 500 Index in den Jahren von 1957 bis 2024 und seines Vorgängers, des Composite Stock Index, in den Jahren von 1950 bis 1957. Das Diagramm zeigt auch eine schwankende Bandbreite der Vanguard Schätzungen einer separaten Berechnung des Fair-Value-CAPE. Wie die Grafik zeigt, bewegt sich die CAPE-Indexbewertung in der Regel im Rahmen von oder nahe an unserer Schätzung des Fair-Value-CAPE. Zu sehen ist auch ein Spitzenwert während der Dotcom-Blase zu Beginn der Nullerjahre mit einem CAPE von knapp 45, außerdem mehrere Phasen zwischen 1991 und 2024, in denen die Bewertungen über dem Fair Value lagen. Aktuell liegen die Bewertungen über unserer geschätzten Fair-Value-Bandbreite.

Hinweise: Das von Vanguard berechnete Fair-Value-CAPE von US-Aktien beruht auf einem statistischen Modell, welches das CAPE um das Zinsniveau und Inflation bereinigt. Die statistische Modellspezifizierung ist eine Vektor-Fehlerkorrektur (VEC) mit drei Variablen: Gewinnrenditen von Aktien, nachlaufende 10-Jahres-Inflation und 10-Jahres-Treasury-Renditen, geschätzt über den Zeitraum vom 1. Januar 1940 bis zum 5. August 2024. Für weitere Informationen siehe As US Stock Prices Rise, the Risk-Return Trade-Off Gets Tricky aus der Vanguard Serie Global Macro Matters (2017). Sinkt das Fair-Value-CAPE, sollte die Aktienrisikoprämie (ERP) steigen; steigt das Fair-Value-CAPE, sollte die Aktienrisikoprämie sinken.

Quellen: Berechnungen von Vanguard auf Grundlage von Daten der Webseite vor Robert Shiller per 5. August 2024, sowie dem US Bureau of Labor Statistics, dem Federal Reserve Board, Refinitiv und Global Financial Data.

Meine Kolleginnen und Kollegen und ich befassen uns seit einiger Zeit mit dem wirtschaftlichen Potenzial künstlicher Intelligenz. Wir sind vor allem gespannt, ob künstliche Intelligenz Wachstum und Arbeitsproduktivität so weit ankurbeln kann, dass unsere Lebensstandards steigen und Negativeffekte durch Bevölkerungsalterung ausgeglichen werden. Auf den Punkt gebracht: Ich bin vorsichtig optimistisch. Ein schnelles Wirtschafts- und Gewinnwachstum, das die aktuelle Überbewertung des US-Aktienmarktes korrigieren würde, ist jedoch bestenfalls unwahrscheinlich. 

Die Unternehmensgewinne müssten drastisch steigen, um Überbewertungen zu korrigieren

Unser letztes Diagramm zeigt das Wachstum der US-Unternehmensgewinne, das seit 1871 bei durchschnittlich 4% pro Jahr lag. Was das Diagramm ebenfalls zeigt: Das Gewinnwachstum war in guten Zeiten deutlich höher. 

Daher wollten wir wissen, wie schnell die Gewinne wachsen müssten, um die Überbewertungen am US-Aktienmarkt abzubauen. Das Ergebnis: 40% pro Jahr, wenn man von einem Dreijahreshorizont für eine Rückkehr zum Fair-Value ausgeht. Das ist doppelt so viel wie in den Zwanzigerjahren, als die Elektrizität das Land zum Leuchten brachte – ganz zu schweigen von der Wirtschaftsleistung und den Konzernergebnissen. 

Selbst ein KI-Boom würde die Überbewertungen nicht korrigieren

Ein Balkendiagramm zeigt, dass die Unternehmensgewinne in den USA seit 1871 jährlich um 4,1% gestiegen sind, sowie drei Beispiel-Zeiträume, in denen sie schneller wuchsen. In der Ära der landesweiten Elektrifizierung stiegen die Gewinne jährlich um 21,5%, in der Ära der PC und des Internet um 15,1% und in der Covid-Ära um 13,3%. Außerdem zeigt das Diagramm, dass die Gewinne um etwa 40% pro Jahr steigen müssten, damit die Aktien in den nächsten drei Jahren wieder ihren Fair Value erreichen.

Hinweise: „Vollständiger Zeitraum“ bezieht sich auf den Zeitraum von Januar 1871 bis März 2024. „Elektrizität“ bezieht sich auf den Zeitraum von Dezember 1921 bis März 1930. „PCs und Internet“ bezieht sich auf den Zeitraum von März 1992 (nach der Rezession Anfang der 90er Jahre) bis Dezember 1999. „Covid“ bezieht sich auf den Zeitraum von März 2020 bis März 2024. Der Balken „Mindestrate für eine Rückkehr zum Fair Value in 3 Jahren“ bildet die notwendige annualisierte Gewinnwachstumsrate ab, damit das zyklisch bereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis bis Dezember 2027 zu einem Fair Value von 23,8 zurückkehrt; dabei gehen wir von einem Kursanstieg des S&P 500 Index von 5% und einer Inflation von 2% pro Jahr aus.

Quellen: Berechnungen von Vanguard auf Grundlage von Robert Shiller.

Um aus der Überbewertung „herauszuwachsen“, müssten die Gewinne um rund 40% pro Jahr steigen. Da die Gewinnmargen nur knapp unter ihren Rekordhöhen liegen, müsste der größte Teil eines hypothetischen Gewinnsprungs von 40% pro Jahr daher aus steigenden Unternehmensumsätzen stammen – was in Anbetracht der schwächeren Konjunktur schwierig werden dürfte. Mein Team und ich gehen davon aus, dass die US-Wirtschaft im kommenden Jahr um 1 bis 1,5% und damit langsamer als in diesem Jahr (2%) wachsen wird. 

Menschliche Intelligenz bleibt unersetzlich

Das Potenzial künstlicher Intelligenz ist real. Wir schätzen die Wahrscheinlichkeit eines KI-getragenen Anstiegs der Arbeitsproduktivität auf 45 bis 55%, was in den USA zu einer realen (inflationsbereinigten) jährlichen Wachstumsrate von etwa 3,1% zwischen 2028 und 2040 führen dürfte. Bis dahin benötigt die Technologie mehr Investitionen – und Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. 

Allerdings sehen wir auch ein signifikantes Risiko, dass die Wirkung künstlicher Intelligenz bescheidener ausfällt und die durch den demografischen Wandel bedingten steigenden staatlichen Ausgaben nicht ausgleichen kann. Wir schätzen die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios auf 30 bis 40% und rechnen in diesem Fall mit einer langfristigen Wachstumsrate von nur etwa 1% pro Jahr.

Man könnte versucht sein, einen Zusammenhang herzustellen zwischen den derzeitigen Aktienbewertungen, wahrscheinlichen Wachstumsszenarien und dem weitverbreiteten KI-Enthusiasmus. Anlegerinnen und Anleger sollten ihre kurzfristigen Erwartungen an Wirtschaftswachstum und Unternehmensgewinne jedoch nicht zu hoch stecken und ihre Vernunft nicht ablegen. Anders ausgedrückt: Sie sollten auf ein diversifiziertes Portfolio achten, das ihrer Risikotoleranz und ihrem Anlagehorizont entspricht. In Anbetracht der Konjunkturentwicklung sollten sie außerdem gelegentliche Abschwünge verkraften können, die die Aktienbewertungen in Richtung ihres Fair Value verschieben. 

Megatrends

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Wie werden Megatrends Wirtschaft und Märkte in den kommenden Jahren prägen? Um Antworten auf diese Frage zu finden, führen eine quantitative Analyse langfristiger Veränderungen in Technologie, Demografie, Globalisierung und anderer Einflussfaktoren durch.

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