Ein Kommentar von Jan-Carl Plagge, Global Head of Active-Passive Portfolio Research, Investment Strategy Group, Vanguard Europe.

 

  • ESG-Fonds können mit aktiven Risiken behaftet sein – unabhängig davon, ob sie aktiv oder passiv verwaltet werden.
  • Meist werden in diesen Fonds bestimmte Unternehmen oder sogar ganze Sektoren über- oder untergewichtet bzw. ganz ausgeschlossen. In einigen Fällen können diese Abweichungen zu einem systematischen Exposure auf bestimmte Stilfaktoren führen.
  • ESG-bewusste Anleger:innen sollten die Philosophie und Portfoliostruktur von ESG-Fonds grundsätzlich sorgfältig und im Einzelfall prüfen, bevor sie eine Entscheidung treffen.

 

Stilfaktoren wie „Size“, „Value“ und „Quality“ beeinflussen, soviel ist bekannt, die Wertentwicklung von Aktien und Anleihen. Derartige Faktor-Exposures können sich positiv, negativ oder auch gar nicht auf die Rendite auswirken, je nach Ausrichtung des Asset-Exposure und der Wertentwicklung des Faktors.

Viele aktive und passive Fonds haben bewusst einen oder mehrere Faktoren übergewichtet, entweder aufgrund der Indexmethodik (bei Indexfonds) oder aufgrund einer Entscheidung des Portfoliomanagers (bei aktiven Fonds). 

Doch haben Stilfaktoren auch Einfluss auf die Wertentwicklung von ESG-Aktienfonds?

Analyse der Faktor-Einflüsse

In vielen ESG-Fonds sind bestimmte Sektoren anhaltend unter- oder übergewichtet, was auf ein mögliches systematische Faktor-Exposure hindeutet. Deutlich wird dies am Beispiel von ESG-Indexfonds für US-Aktien: Hier konnten wir anhand der Marktkapitalisierung aller Fonds eine Übergewichtung von Finanzwerten und eine Untergewichtung von Energie- und Industriewerten nachweisen1. Wenn ein Zusammenhang zwischen diesen Sektoren und bestimmten Anlagestilen besteht, kann man davon ausgehen, dass Sektorabweichungen zu Faktor-Exposures führen.

Tatsächlich beeinflussen Stilfaktor-Exposures die Wertentwicklung vieler ESG-Fonds, wie unsere Untersuchungen zeigen. Dazu haben wir die Bruttorenditen, also die Renditen vor Kosten, zahlreicher aktiver und passiver ESG-Aktienfonds für den 5-Jahres-Zeitraum bis 2021 in einem Stil-Faktor-Modell analysiert2. Wir haben die Stilfaktoren aus dem Fünf-Faktor-Modell von Fama und French (2015) verwendet, den Marktfaktor (in unserem Fall die US-Aktienmarktrendite) und die vier Stilfaktoren Size, Book-to-Market (der Value-Aktien von Growth-Werten unterscheidet), Profitability und Investment3.

Faktor-Exposures und Alpha – aktive und passive ESG-Aktienfonds

Quelle: Berechnungen von Vanguard basierend auf Daten von Morningstar, Inc. und der Website von Kenneth French http://mba.tuck.dartmouth.edu/pages/faculty/ken.french/data_library.html Anmerkungen: Die Balken zeigen den Anteil der Fonds, für die der Regressionskoeffizient entweder positiv oder negativ und bei mindestens 10% statistisch signifikant war. Die Koeffizienten leiten sich aus der Regression der monatlichen Bruttorenditen der einzelnen Fonds gegen die Renditen des US-Aktienmarktes (MktRf) und die vier Stilfaktoren von Fama und French (2015) ab: Size (Small Minus Big  SMB), Book-to-Market (High Minus Low  HML), Operating Profitability (Robust Minus Weak  RMW) und Investment (Conservative Minus Aggressive – CMA). Für eine übersichtlichere Darstellung ist der Marktfaktor nicht enthalten. Untersuchte Zeitspanne: 1. Januar 2017 bis 30. November 2021.

 

Die Grafiken zeigen den Anteil der Fonds mit einem positiven und einem negativen Exposure auf jedem der von uns getesteten Faktoren.4 Das Exposure auf den Marktfaktor war für jeden einzelnen Fonds in unserer Datenmenge positiv, was nicht überrascht, da schließlich alle analysierten Fonds ausschließlich in den US-Aktienmarkt investieren.

Ein Blick auf die Stilfaktoren verrät, dass die meisten Indexfonds in unserer Stichprobe (67%) Large Caps gegenüber dem Markt übergewichten, was bei Small Caps nur auf wenige Fonds zutraf. Auch unter den aktiven Fonds war eine Übergewichtung von Large Caps häufiger zu beobachten, wenn auch nicht so häufig wie bei Indexfonds.

Beim Value-Faktor (Kurswert-Marktwert) konnten wir in rund 50% der aktiven und passiven Fonds ein statistisch signifikantes Exposure feststellen. Anders als Anleger:innen vielleicht erwarten würden, war dieses Faktor-Exposure positiv, Value-Aktien also übergewichtet.

Was den Investment-Faktor betrifft – der anzeigt, ob ein Unternehmen viel oder wenig investiert – unterschieden sich aktive und passive Fonds in ihrem Exposure. Zwar spielte der Faktor in 40% der Fonds beider Kategorien eine Rolle, war jedoch bei Indexfonds meist über-, während er bei den meisten aktiven Fonds untergewichtet war.

Nur eine Minderheit der Fonds hatte ein statistisch signifikantes Exposure auf den Profitability-Faktor, der die operative Rentabilität eines Unternehmens anzeigt.

Bei den faktorbereinigten Alphas – dem systematischen Teil, der nach der Kontrolle des Marktfaktors und der vier Stilfaktoren übrig bleibt – konnten wir nur in etwa 20% der Fonds in unserer Stichprobe ein statistisch signifikantes Alpha (positiv oder negativ) nachweisen. Bei den verbleibenden etwa 80% der ESG-Fonds in unserer Stichprobe müssen wir davon ausgehen, dass sich das Alpha nicht signifikant von Null unterscheidet – und daher, dass unsere fünf Faktoren den systematischen Teil ihrer Performance erklären.

ESG-Fonds und aktives Risiko

Wie sollten Anleger:innen die Ergebnisse interpretieren? Sie sollten sich darüber bewusst sein, dass sie mit ESG-Fonds – unabhängig davon, ob diese aktiv verwaltet werden oder einen Index abbilden – aktives Risiko eingehen5, da diese Fonds in der Regel bestimmte Unternehmen oder sogar ganze Sektoren über- bzw. untergewichten oder sogar ganz ausschließen. In einigen Fällen können diese Abweichungen zu einem systematischen Exposure auf bestimmte Stilfaktoren führen. Diese Stilverzerrungen haben, je nach Ausrichtung des Exposure und der Wertentwicklung des Faktors, positiven oder negativen Einfluss auf die Fondsrendite.

Auch deshalb sollten ESG-bewusste Anleger:innen die Philosophie und Portfoliostruktur von ESG-Fonds grundsätzlich sorgfältig und im Einzelfall prüfen, bevor sie eine Entscheidung treffen, um unerwartete – und unerwünschte – Ergebnisse zu vermeiden.

 

1 Wir haben eine Performance-Attribution auf Grundlage von Brinson, G., R. Hood, und G. Beebower. 1986 „Determinants of Portfolio Performance“ Financial Analysts Journal 42 © [2022] With Intelligence, LLC. durchgeführt. Neu veröffentlicht mit Genehmigung des PMR Journal of Impact & ESG Investing, [„Explaining ESG Equity Index Fund Performance – Is it all about Industry Allocations?“, Band 2, Ausgabe 3]. Alle Rechte vorbehalten.

2 Als Fondsuniversum haben wir alle Fonds der Morningstar-Kategorie „Sustainable Investment – ESG Incorporation“ definiert, die nach eigenen Angaben ESG-Faktoren (Umwelt, Soziales und/oder Governance) in ihren Anlageprozess integrieren.

3 Für unsere Analyse haben wir eine Regressionsmodellierung der Bruttorenditen aller ESG-Fonds anhand des Fünf-Faktor-Modells von Fama und French (2015) durchgeführt. Die vier von uns verwendeten Stilfaktoren von Fama und French sind: Größe (Size) bzw. Small Minus Big (SMB) – die durchschnittliche Rendite von Portfolios aus Aktien kleiner Marktkapitalisierung abzüglich der durchschnittlichen Rendite von Portfolios aus Aktien großer Marktkapitalisierung; Buchwert-Marktwert-Verhältnis (Book-to-Market) bzw. High Minus Low (HML) – die durchschnittliche Rendite von Value-Portfolios abzüglich der durchschnittlichen Rendite von Growth-Portfolios; operative Rentabilität (Operating Profitability) bzw. Robust Minus Weak (RMW) – die durchschnittliche Rendite von Portfolios aus Aktien robuster operativer Rentabilität abzüglich der durchschnittlichen Rendite von Portfolios aus Aktien schwacher operativer Rentabilität; und Investitionen (Investment) bzw. Conservative Minus Aggressive (CMA) – die durchschnittliche Rendite von Portfolios aus Aktien mit niedriger Investitionsquote abzüglich der durchschnittlichen Rendite von Portfolios aus Aktien mit hoher Investitionsquote. Der verbleibende Faktor des Fünf-Faktoren-Modells ist der Marktfaktor (MktRF).

4 Wir bewerten ein Stil-Exposure nur dann als nicht gleich null, wenn es bei mindestens 10% statistisch signifikant ist. Daher ergibt die Summe der beiden Balken für die einzelnen Stilfaktoren nicht 100%. 10% sind ein Wert, der sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis häufig verwendet wird. Oft ist davon die Rede, dass ein Ergebnis bei 10% „statistisch signifikant“ ist.

5 Weil sie im Aufbau ihres Portfolios von herkömmlichen Indexfonds (die den gesamten Markt abbilden) abweichen, gehen wir davon aus, dass ESG-Indexfonds mit aktivem Risiko behaftet sind. Des Weiteren gehen wir davon aus, dass keine Optimierungstechniken zur Minimierung dieses aktiven Risikos von ESG-Fonds angewendet werden.

Wichtige Hinweise zu Anlagerisiken

Der Wert der Investitionen und die daraus resultierenden Erträge können steigen oder fallen, und Investoren können Verluste auf ihrer Investitionen erleiden.

Fonds, die in festverzinsliche Wertpapiere investieren, bergen das Risiko eines Zahlungsausfalls bei Rückzahlungen und einer Beeinträchtigung des Kapitalwerts Ihrer Investition. Außerdem kann das Ertragsniveau schwanken. Änderungen der Zinssätze haben wahrscheinlich Auswirkungen auf den Kapitalwert von festverzinslichen Wertpapieren. Unternehmensanleihen können höhere Erträge abwerfen, bergen aber auch ein höheres Kreditrisiko. Dadurch steigt das Risiko eines Zahlungsausfalls bei Rückzahlungen und einer Beeinträchtigung des Kapitalwerts Ihrer Investition. Das Ertragsniveau kann schwanken und Änderungen der Zinssätze haben wahrscheinlich Auswirkungen auf den Kapitalwert von Anleihen.

Wichtige allgemeine Hinweise

Nur für professionelle Anleger (nach den Kriterien der MiFID II-Richtlinie), die auf eigene Rechnung investieren (einschließlich Verwaltungsgesellschaften (Dachfonds) und professionelle Kunden, die im Namen ihrer diskretionären Kunden investieren).  In der Schweiz nur für professionelle Anleger. Nicht für die öffentliche Verbreitung bestimmt.

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